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Hergehört! Kompression.

Das Dickungsmittel der Radiosender und der Musik-Industrie

Von Frank Mankyboddle

Jeder hört es, tagaus – tagein. Kaum einer merkt es. Kaum einer hört es bewusst. Nur Tontechniker und Musiker wissen, was es wirklich ist. Die Kompression, erzeugt durch den Kompressor. Der Kompressor erzeugt nicht nur in der Autowerkstatt sondern auch in der Tontechnik das, was der Rock-Freak der letzten Jahrzehnte „Druck“ nannte. Er ist verantwortlich für „fette“ Bässe und „satten“ Sound auf dass er uns „knallwach“ (Kiss FM) macht. Ich nenne es die „Endlösung“ der (Pop-)Musik bei 0 db (Dezibel).

„Du hörst wie Du isst.“ Ich bin der Ansicht, dass Ess- und Hörgewohnheiten verblüffende Parallelen aufweisen, die leider bisher nicht wissenschaftlich erforscht zu sein scheinen. Nun ist bei den globalen Essgewohnheiten wenn schon keine Trendwende, so doch wenigstens eine klar formulierte und etablierte Alternative zum Industriefraß der Lebensmittelkonzerne sichtbar. Bei den Hörgewohnheiten dagegen befindet sich das Gehör im freien Sturz auf oben genannte Endlösung.

Dem Ökoladen als Träger des Widerstandes gegen die Zerstörung von Kultur und Umwelt fehlt das akustische Pendant. Zwar gibt es ein „Kulturradio“, das sich redlich um „gesunde“ Hör-Kost bemüht, doch zwei Kanäle weiter ist die Ver-Mehlschwitzung der musikalischen Hochkultur im „Klassikradio“ schon abgeschlossen und mundgerecht auch noch für den taubesten „Gaumen“ attraktiv.

Was aber genau bewirkt die Kompression in der Musik, und wie wirkt sie sich auf den Hörer aus?

Die Funktion des Kompressors ist es, die Dynamik, also den Abstand zwischen den lautesten und den leisesten Tönen einer Tonaufnahme oder einer Radio-Sendung, zu verringern. Er komprimiert für eine z.B. digitale Aufnahme die Lautstärke so, wie für eine Luftdruckanlage Luft komprimiert wird. Er presst die Töne (laut und leise) enger zusammen. Dieser Effekt wird vor allem im Radio dazu benutzt, möglichst der lauteste Sender zu sein, damit man zwischen den anderen Sendern auch ja nicht überhört wird. Ursprünglich diente dies vor allem dazu, den so genannten „Rauschabstand“ zu verringern: den Abstand der Musik zum Hintergrundrauschen der Sendefrequenz oder des Tonbandes etc. Viele Rockbands benutzen diesen Effekt in vorauseilendem Gehorsam damit sie im Radio „gut `rüberkommen“ und, wie gesagt, „ja nicht überhört werden“…

Die elektroakustische Kompression verhält sich zum romantischen Konzept der Dynamik wie der Big Mac zu einem Fünf-Gänge-Menü. Wo seit der Romantik die klassische Musik mit Pianissimo und Fortissimo dem Hörer effektvoll die emotionalen Höhen und Tiefen des Lebens und aller seine Phänomene nahe legt, suggeriert, simuliert oder eben nach- oder vor-empfindet, da versucht der Kompressor zu viele Emotionen wieder zu glätten und in konsumierbare Bahnen zu lenken. Romantische und nach-romantische „klassische“ Musik ist nur durch (aufmerksames) Zuhören genießbar. Sie eignet sich nicht als Hintergrundmusik, im Gegensatz z.B. zur barocken Musik, da die leisen Stellen meist zu leise und die lauten zu laut sind, was den Weghörer gegen seinen Willen zum Hinhören zwingt. - Hier schafft das „Klassikradio“ Abhilfe, indem es die Adagios und Arien aus dem Kontext des komponierten Werkes löst damit der „Klassik-Fan“ ja nicht mit dem Schweiß der Romantik konfrontiert wird und auch ohne Deo „in excelsis“ des verdienten Wellness-Schlafes gelangen kann. - Das Zuhören hätte den Zuhörer zwar mit einem intensiven, lebendigen Hör-er-Lebnis belohnt, dafür aber auch den Preis der ungeteilten Aufmerksamkeit verlangt. Das setzt eine gewisse musikalische Fokussierfähigkeit, Konzentration und Bildung voraus.

Das Anliegen der Unterhaltungsindustrie dagegen ist, dem Hörer möglichst viel Hörkost zukommen zu lassen und ihn auf Sendung zu halten. Und dafür eignet sich ein gleich bleibendes Dauergedudel von konstanter Lautstärke bei dem man eventuell eben noch „knallwach“ bleibt. Das führt dazu, dass man zwischen den „Tracks“ von den Ansagern in optimiertem Brustton angeschrieen wird - mit der gleichen Lautstärke wie davor und danach die komprimierte Musik erklingt. Ein „supersize me“ im Radio, das natürlich nicht bei der Verwendung von Kompression aufhört, sondern im „Programming“ seinen Anfang und sein Ende findet. Denn bekanntermaßen hat jede Radiostation schon am Ende des 20. Jahrhunderts ihre „Playlist“ ebenso komprimiert wie das Signal, das sie zum Sendemast überträgt. Die Titel „rotieren“ immer schneller, bis die Länge der gesamten „Playlist“ zu guter Letzt in etwa der Länge einer durchschnittlichen Oper entspricht.

Diese einseitige, komprimierte, musikalische Kost wirkt analog zu den Dickungsmitteln und Geschmacksverstärkern der Lebensmittelindustrie. Erdbeerjoghurt schmeckt nicht nach Erdbeeren sondern nach ERDBEER-Geschmack. Entsprechend ist die musikalische „Romantik“ der Pop-Industrie nur simuliert. Selbst in ihren goldenen Zeiten war „Stairway to Heaven“ ohne Kompression, oder einer entsprechenden Abmischung, nicht zu denken. Wirkliche Dynamik erträgt der moderne Romantiker eben nicht. Emotionen müssen abrufbar sein, je nach Bedarf.

Und abrufbar sind sie wiederum bei Myspace und Co.mehr denn je dank einer etwas anderen Art der Kompression: der Datenkompression oder auch Datenreduktion. Reduziert wird hier nicht nur zum gewissen Maß die Dynamik sondern oft ganz erheblich auch die Qualität der Aufnahme. Doch während einige Wenige mit der „Super Audio-CD“ der „Aliasing“-Gefahr beim Pianissimo entkommen wollen, nimmt die Masse das Alias-Klirren sogar noch beim Dauer-Fortissimo in Kauf. Und während, analog dazu, Blinde ihr Gehör so weit verfeinern, dass sie fast wie Fledermäuse mit den Ohren sehen können, drehen sich immer mehr Sehende „blinden Ohres“, auf dem kleinsten gemeinsamen Myspace-Nenner, im Kreis ihrer Hörgewohnheiten. Die Konsum-Anarchie der ahnungslosen Laien trifft auf den anarchischen Narzissmus der selbstdarstellenden Semiprofis und Dillettanten. Star wird nicht der Freak oder das Genie, sondern das nette Opfer von nebenan. Dieser Paradigmenwechsel, den schon die Talkshow-Kultur der 90er Jahre eingeleitet hat, mündet hier in eine Dauerschleife der Flatrate-Selbstbespiegelung für alle. Bezahlt wird nur noch für die Medien und nicht mehr für die Inhalte, die die Kundschaft ja schließlich - für sich selbst - produziert.

Ein Abwenden des musikalischen Kannibalismus und der musikalischen Fettsucht ist so unwahrscheinlich wie ein Ausweg aus der Klimakatastrophe. Fetisch bleibt Fetisch auch im Angesicht, oder gerade wegen, der Apokalypse.

 

 

 

 

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